Llamadas desde Moscú - Filmforum Höchst

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Llamadas desde Moscú

 
Fr 07.04., Sa, 08.04., So 09.04., Mo 10.04., Di 11.04. (dt. sync) | 20:30
Todd Field | US 2022 | FSK 12 | 158 Min. | OmU

In seinem kontrovers diskutierten, bei der diesjährigen Oscarverleihung nicht berücksichtigten Werk, zelebriert Regisseur Todd Field die verstörend-faszinierende Selbstzerstörung der fiktiven Meisterdirigentin Lydia Tár; einer Frau die in der bisher weitgehend unangefochtenen Männerdomäne der Stardirigenten als erste ihrer Zunft das international renommierteste Orchester Deutschlands leitet, die „Berliner Philharmoniker“. Augenfällig sind die zahlreichen Parallelen zu realen, männlichen Repräsentanten der Branche, denen Fehlverhalten und Machtmissbrauch vorgeworfen wurden.
Im Film zu sehen und vor allem auch zu hören sind interessanterweise die Musiker der „Dresdner Philharmonie“. In der Hauptrolle der, in einer lesbischen Beziehung liierten Künstlerin, brilliert Cate Blanchett, die über ihre Figur anmerkt: „Was passiert, wenn Menschen in einer schöpferischen Position dem Epizentrum der Macht und Autorität nahekommen?“
KRITIKEN:
"Tár": Cate Blanchett brilliert als eiskalte Dirigentin
von Anna Wollner
Todd Fields Drama "Tár" ist bei den Oscars sechs Mal nominiert. Cate Blanchett spielt eine eiskalte Dirigentin, die mit ihrem Spitzenorchester für eine Live-Aufnahme probt.
"Wenn sie hier im Saal sind, wissen sie schon wer sie ist. Lydia Tár ist vieles." Filmszene
Besser kann man eine Figur nicht einführen. Und besser, als Todd Field in "Tár" die titelgebende Hauptfigur beschreiben lässt, geht es nicht. Lydia Tár ist nicht nur vieles, sie scheint alles zu sein. Alles, was man in der klassischen Musik erreichen kann.
Cate Blanchett spielt eine fiktive Figur, die sich echt anfühlt. Eine Frau, die es bis an die Spitze der klassischen Musik geschafft hat, durch harte Arbeit, Disziplin, Verzicht. Aber auch durch Kalkül, durch Ellenbogen und Machtmissbrauch. Verheiratet mit ihrer ersten Geigerin Sharon (Nina Hoss), mit der sie eine gemeinsame Tochter hat, ist sie gerade dabei, die fünfte Sinfonie von Mahler mit ihrem Orchester einzuspielen - und hätte damit als erste überhaupt alles von Mahler vertont.
Intensive Schauspielleistung von Cate Blanchett
Doch das perfekte Leben bekommt Risse: Eine ehemalige Assistentin nimmt sich das Leben und erhebt vorher noch schwere Anschuldigungen gegen Lydia. Zudem geht ein Video viral, in dem sie sich weigert zu gendern und einen Studenten fertig macht.Lydia Tár ist eine ambivalente Figur, Opfer und Täterin zugleich - für Cate Blanchett macht genau das den Reiz aus: "Das wird ja oft bei weiblichen Figuren gefragt, ob man sie mag oder nicht, ob man sie attraktiv findet oder nicht. Als ich im Filmgeschäft anfing, ging es nur darum. Und heute reden wir immer noch darüber. Ich habe diese Frau nicht als Rolle gesehen, sondern als einen Satz aus einer Mahler-Sinfonie, als eine Krise, die Menschen durchmachen. Das ist ein bisschen wie ein Rorschachtest. Es geht nicht darum, ob ich eine Figur mag oder nicht. Du musst verstehen, warum sie so ist."
Blanchett versteht Lydia Tár und spielt sie wahnsinnig intensiv, gerade in den Konzertszenen, in denen sie das Orchester dirigert: Sie spielt verbissen, hart - und mal absolut verletzlich.
Cate Blanchett über "Tár": "Es hat mich aufgezehrt"
Todd Field hat die Rolle nur für Blanchett geschrieben - hätte sie nein gesagt, hätte er das Drehbuch verworfen. Für sie war es die größte Herausforderung ihrer Karriere: "Ich wurde davon völlig absorbiert. Ich hatte keinen Raum mehr für irgendwas anderes. Es hat mich aufgezehrt. Nicht nur die Aufgabe, die Rolle zu spielen. Auch die Fragen, die der Film aufwirft. Auf die ich keine Antwort habe, aber mit denen ich mich auseinandergesetzt habe. Und über die ich immer noch nachdenke. Aber ich habe in Todd schon seit langem eine verwandte Seele, und in Nina jetzt auch. Man kann herausgefordert werden. Aber wenn man sich gegenseitig fordert, ist das berauschend."
"Tár" ist ein Film, der von der ersten bis zur letzten Minute durchkomponiert und durchchoreografiert ist, mit kühlen Bildern und einem elliptischen Erzählrhythmus. Ein Film, der verstört und gerade deswegen ein Meisterwerk ist. Ein Film, so bildgewaltig und übergroß, wie es ihn nur alle paar Jahre geben kann.
https://www.ndr.de/kultur/musik/Tar-Komponistin-Hildur-Gudnadottir-ueber-die-Musik-im-Film,tarkomponistin100.html
https://www.ndr.de/kultur/film/tipps/Tar-Cate-Blanchett-brilliert-als-eiskalte-Dirigentin,tar100.html
Warum der Film „Tár“ so umstritten ist
Düsseldorf. Cate Blanchett als übergriffige Chefdirigentin: „Tár“ ist auch eine Erzählung über die Debatten unserer Zeit. Und nicht alle dürften damit einverstanden sein, wie sie präsentiert werden.
Eine Kritik.
Gut gemeinter Ratschlag vorneweg: „Tár“ von Todd Field schaut man am besten in der Gruppe. Und nach dem Kinobesuch sollte man sich noch zu Bier oder Wein verabreden. Es gibt nämlich garantiert viel zu diskutieren.
Cate Blanchett
Der Film erzählt von Lydia Tár, der fiktiven Chefdirigentin der Berliner Philharmoniker (die hier absurderweise von deren Dresdner Kollegen verkörpert werden). Cate Blanchett spielt diese in ihrem Milieu unheimlich mächtige Frau so großartig, dass es verflixt wäre, wenn sie dafür nicht ihren dritten Oscar bekommen würde. Der Aufstieg Lydia Társ wird zu Beginn des Film auf einer Podiumsdiskussion in Manhattan skizziert: Adam Gopnik, der auch im echten Leben Redakteur des Intellektuellen-Magazins „New Yorker“ ist und vor wenigen Wochen tatsächlich ein Interview mit Cate Blanchett veröffentlichte, befragt Lydia Tár. Sie war Schülerin von Leonard Bernstein, leitete die Orchester in Cleveland und Boston und kam schließlich nach Berlin. Nun steht sie vor dem Höhepunkt ihrer Karriere: Ihr biografisches Buch „Tár über Tár“ wird veröffentlicht, und die Einspielung von Mahlers 5. Symphonie steht kurz bevor. Regisseur Todd Field hat diese Rolle eigens für Blanchett geschrieben, und die 53-Jährige gibt der Figur unverbrüchliches Selbstbewusstsein. Sie strahlt die Sicherheit derjenigen aus, die durch die Metropolen der Welt chauffiert wird und längst keinen Widerspruch mehr bekommt.
Narzissmus
Man merkt bald, dass für Lydia Tár die Gesetze des Alltags nicht gelten. Sie lebt mit Sharon Goodnow (Nina Hoss) zusammen, Konzertmeisterin der Berliner Philharmoniker. Die beiden haben eine Tochter, wobei Sharon offenbar das Gros der Erziehung übernimmt. Zu Beginn des Film gibt es eine wunderbare Liebesszene. Lydia breitet ihre Mahler-LPs auf dem Boden des mit Büchern, Partituren und Olafur-Eliasson-Kunstwerken eingerichteten Apartments aus. Sie kreist mit dem nackten Fuß darüber, und ins Bild kommt ein Fuß von Sharon. Die beiden berühren einander über den Platten. Mehr Körperlichkeit gibt es nicht in diesem Film, Lydia ist zu unnahbar dafür. Sie wirft ihren Stellvertreter raus, hält ihre Assistentin klein. Sie unterhält Liebesbeziehungen zu Musikerinnen, verspricht Karrieren, lässt die Frauen wieder fallen. Ein anonymes Geschenk verweist auf kommende Verwicklungen: die Erstausgabe von Vita Sackville-Wests tragischem Liebesroman „Challenge“. Lydia zerreißt sie. Die Vermutung liegt nahe, dass das Buch von einer früheren Geliebten geschickt wurde. Deren Selbstmord kommentiert Lydia später mit den lakonischen Worten: „Sie war keine von uns.“
Identitätspolitik
Eine Szene, die dem Film in den USA viel Kritik eingebracht hat, spielt in einem Seminar an der Juilliard School. Lydia Tár unterrichtet dort Studierende, darunter Max, der sich als „pangender“ bezeichnet. Max sagt, er beschäftige sich nicht mit Bach, weil er ihn für misogyn hält. Lydia Tár führt ihn daraufhin vor, lässt nicht von ihm ab, bis er den Saal verlässt. Ein verfälschend zusammengeschnittenes Video der Situation geht viral. Ein im „New Yorker“ erhobener Vorwurf lautet, Regisseur Todd Field zeichne ein spöttisches Porträt des Studenten. Außerdem mache er sich lustig über dessen Anliegen, den Kanon in Frage zu stellen und ein diverseres Lehrprogramm zu installieren.
Vorwürfe
Ein anderer Kritikpunkt betrifft die Hauptfigur als solche: Warum wählt Todd Field eine lesbische Frau? Chefdirigentinnen bei großen Orchestern sind noch immer die Ausnahme. Es gibt aber mehrere Beispiele für männliche Dirigenten, denen Fehlverhalten vorgeworfen wird, darunter James Levine, Daniele Gatti und Charles Dutoit, die allerdings jede Schuld von sich weisen. Zu Wort gemeldet hat sich deshalb Marin Alsop, die 2007 zur Chefdirigentin des Baltimore Symphony Orchestra berufen wurde. Alsop ist mit einer Frau verheiratet, und sie lernte wie Lydia Tár bei Leonard Bernstein. Sie hat sich nicht des Missbrauchs schuldig gemacht, und sie übt scharfe Kritik: „Man hatte die Chance, eine Frau in der Rolle einer Dirigentin zu zeigen. Und dann macht man sie zur Täterin. Das bricht mir das Herz.“ Sie fühle sich durch den Film angegriffen als Frau, als Dirigentin, als Lesbe.
Satire
Was für ein Film ist das nun also? Auf jeden Fall ein eleganter Film, dessen Ausstattung aufsehenerregend ist. Allein die Kostüme von Blanchett und Hoss! Zugleich ein harter Film, an dessen Thesen man sich stoßen kann. Und gerade deshalb ein intensiver Film: Er zwingt das Publikum zur Reflexion. Man hat beim Schauen zunehmend den Geschmack von Bittermandel im Mund. Lydia Tár gerät bald ins Straucheln. Vorwürfe des Machtmissbrauchs, der Lüge, der Übergriffigkeit gefährden ihre Karriere. Sie verliert die Kontrolle, was immer wieder durch Szenen ins Bild gebracht wird, die aus einem Gruselfilm stammen könnten. Nachts tickt ein Metronom im Schrank, beim Joggen schreit jemand im Wald. Ist das nicht eigentlich eine Satire über den durch öffentliche Gelder subventionierten Kulturbetrieb? Über unseren Geniebegriff? Das Ende wirkt denn auch entsprechend böse und giftig. Es gibt kein Mitleid für Lydia Tár.
„Tar“ wird in Zukunft womöglich als maßgeblicher Film geschaut werden, um den Debatten des Jahres 2023 auf die Spur zu kommen. Und er wird gezeigt werden, wenn es darum geht, die Virtuosität von Cate Blanchett zu illustrieren. Am besten taugt dafür die Szene, in der sie jenes Mädchen auf dem Schulhof stellt, das ihre Tochter mobbt. „Ich bin Petras Vater“, sagt Blanchett da auf Deutsch und mit größtmöglicher Eiseskälte. Sie sagt noch mehr, und als sicher darf gelten, dass das Mädchen danach nie wieder jemandem etwas tut.
https://www.msn.com/de-de/unterhaltung/kino/warum-der-film-t%C3%A1r-so-umstritten-ist/ar-AA184SIF#image=AA185c09|15
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